Dies Domini – Fest der Heiligen Familie, Lesejahr A
Die Geburt eines Kindes ist ein Kraftakt. Überschwemmt von Endorphinen werden nicht nur die Geburtsschmerzen für die Gebärende einigermaßen erträglich. Das Hormon sorgt auch für einen Euphorieschub der durch die Geburt des Kinder zur Mutter gewordenen Frau. Die Evolution ist intelligent. Denn während unzweifelhaft feststeht, wer die Mutter dieses eben Neugeborenen ist, ist noch lange nicht sicher, ob der Mann, der nun neben Frau und Kind steht, auch der Vater des Kindes ist. Nicht selten werden deshalb äußerliche Ähnlichkeiten, die das Kind mit dem Mann neben dem Bett haben soll, betont, um so die Vaterschaft dieses Mannes zu untermauern. Auch die soziale Evolution des Menschen ist intelligent, denn das Kind braucht die Sicherheit einer Familie, die nicht durch Beziehungskonflikte derer gefährdet werden darf, die nun als Eltern für das Wohlergehen des Kindes verantwortlich sind.
Während die Mutterschaft evident ist, ist die Vaterschaft dem ersten Anschein nach bestenfalls auf Indizien angewiesen. Wie sehr die sozial-evolutionäre Intelligenz im Menschen verankert ist, lässt sich auch einer Anekdote entnehmen, die die Journalistin und Publizistin Christiane Florin in einem Facebook-Posting vom 22. Dezember 2013 berichtet:
Der Priester fragt die Kinder nach der Lesung: Wer sind die Eltern von Jesus? Mein Sohn zeigt auf: „Gott und Maria“, sagt er. Lachen im Kirchenschiff. Der Priester geht zum nächsten Kind: „Maria und Josef“, sagt es. „Richtig“, sagt der Priester. (Quelle: Facebook-Account von Christiane Florin)
Offenkundig ist dem Priester – wenigstens spontan – nicht bewusst gewesen, dass nach dem christlichen Glaubensbekenntnis Gott der Vater Jesu ist. Die Jungfrauen-Titulatur Mariens ist ja gerade darin begründet: Wenn Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, wie das Konzil von Nicäa im Jahr 325 n.Chr. definiert, dann lässt das auch Rückschlüsse auf die Eltern Jesu zu. Da Maria unzweifelhaft die Mutter Jesu ist, sie aber genauso unzweifelhaft eine Menschin ist, muss Jesus die menschliche Natur von seiner Mutter haben. Folglich muss die göttliche Natur vom Vater stammen. Gott ist also der Vater, der Jesus Christus gezeugt und nicht geschaffen hat. Die Besonderheit dieser Zeugung führt dazu, dass Maria als Jungfrau bezeichnet wird. Sie ist in dem Sinne Jungfrau, dass Gott der Vater Jesu ist. Das ist Theologik!
Aber wer ist dann der Mann, der im Stall neben der Gottesgebärerin steht? Joseph, der Gerechte, weiß nur allzu gut, dass er nicht der leibliche Vater ist. Hat er wirklich geglaubt, wer der tatsächliche Vater des Kindes sein soll? Und selbst wenn – froh wird er nicht über die göttlichen Hörner gewesen sein, die ihm aufgesetzt wurden. Die Dattelpalmen-Legende, die im apokryphen Evangelium des Pseudo-Matthäus überliefert ist, nimmt die nur allzu menschliche Befindlichkeit des Joseph auf, die sich auf der Flucht nach Ägypten, von der das Evangelium am Fest der heiligen Familie im Lesejahr A berichtet, zugetragen haben soll:
Am dritten Tag ihrer Reise, während sie eiterzogen, traf es sich, dass die selige Maria von der allzu großen Sonnenhitze in der Wüste müde wurde, und als sie einen Palmbaum sah, sagte sie zu Joseph: „Ich möchte im Schatten dieses Baumes ein wenig ausruhen.“ So führte Joseph sie denn eilends zur Palme und ließ sie vom Lasttier herabsteigen. Als die selige Maria sich niedergelassen hatte, schaute sie zur Palmkrone hinauf und sah, dass sie voller Früchte hing. Da sagte sie zu Joseph: „Ich wünschte, man könnte von diesen Früchten der Palme holen.“ Joseph aber sprach zu ihr: „Es wundert mich, dass du dies sagst; denn du siehst doch, wie hoch diese Palme ist, und dass du auch nur daran denkst, von den Palmfrüchten zu essen. Ich für meinen Teil denke eher an den Mangel an Wasser, das uns in den Schläuchen bereits ausgeht, und wir haben nichts, womit wir uns und die Lasttiere erfrischen können.“
Da sprach das Jesuskind, das mit fröhlicher Miene in seiner Mutter Schoß saß, zur Palme: „Neige, Baum, deine Äste, und mit deiner Frucht erfrische meine Mutter.“ Und alsbald senkte die Palme auf diesen Anruf hin ihre Spitze bis zu den Füßen der seligen Maria, und sie sammelten von ihr Früchte, an denen sie sich alle labten. (…) Da sprach Jesus zu ihr: „Richte dich auf, Palme, werde stark und geselle dich zu meinen Bäumen, die im Paradies meines Vaters sind. Und erschließe unter deinen Wurzeln eine Wasserader, die in der Erde verborgen ist, und die Wasser mögen fließen, damit wir aus ihr unseren Durst stillen.“ Da richtete sie sich sofort auf, und eine ganz klare, frische und völlig helle Wasserquelle begann an ihrer Wurzel zu sprudeln. Als sie aber die Wasserquelle sahen, freuten sie sich gewaltig, und sie löschten ihren Durst, sie selbst, alle Lasttiere und alles Vieh. Dafür dankten sie Gott.
(Pseudo-Matthäusevangelium 20)
Dieser Text aus dem 6. Jahrhundert, der sich in einer Variante übrigens auch im Koran befindet und den Ausgangspunkt des englischen Cherry Tree Carol bildet, lässt Joseph alt aussehen. In dieser familiären Gemeinschaft gibt es einen Grundkonflikt, der auch in anderen apokryphen Evangelien konsequent ausgekostet wird, etwa wenn sich Joseph in den Kindheitsevangelien des Thomas von dem Knaben Jesus nicht nur einmal etwa in folgender Weise zurecht weisen lassen muss:
Es genügt dir, mich zu suchen und nicht zu finden, du Gauner, denn tatsächlich weißt du nicht, ob ich dir gehöre. Übrigens betrübe mich nicht, denn ich bin dein und komme zu dir. (Kindheitserzählung des Thomas 5,2 – kirchenslavische Tradition)
Einmal abgesehen davon, dass offenkundig ist, warum diese Texte, die oft nur lokal verbreitet waren, keinen Eingang in den neutestamentlichen Kanon gefunden haben – er spiegelt doch eine lebendige Auseinandersetzung mit dem Wesen Jesu wieder. In einem pubertär anmutenden Konflikt wirft Jesus Joseph vor, doch gar nicht sein Vater zu sein. Er hat ihm gar nichts zu sagen. Wie viele Stiefväter und -mütter haben diese Szene selbst schon erlebt. Und doch weiß Jesus, dass er in einer familiären Gemeinschaft mit Joseph lebt und zu ihm gehört.
Blut ist eben nicht dicker als Wasser. Die Familie Jesu war wirklich nicht heil, und doch heilig. Joseph hat dabei eine wahrhaft tragende Rolle. Er trägt und erträgt sein Schicksal. So wie es in der zweiten Lesung vom Fest der Heiligen Familie im Lesejahr A heißt:
Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! (Kolosserbrief 3,13)
Er trägt und erträgt die Verantwortung, die er sich nicht gewünscht, die ihm aber das Leben gestellt hat. Mehr als einmal wird er wohl das Bedürfnis gehabt haben, aus der Haut zu fahren – und wer weiß, vielleicht ist er es auch. Verstehen könnte man ihn. Und doch lässt er die, die ihm anvertraut sind, nicht allein. Er teilt ihr Schicksal. Darin wird deutlich, was Familie eigentlich ist: eine Schicksals- und Solidargemeinschaft, die sich trägt und manchmal auch erträgt und wenn es nicht weitergeht auf den tragenden Schutz Gottes vertraut.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Du kannst einen Kommentar schreiben.